Terror und Verfolgung in Eutin

Terror und Verfolgung waren ein wesentliches Kennzeichen des Nationalsozialismus. In Eutin waren neben den wenigen hier lebenden Juden zunächst die aus politischen, aber auch aus persönlichen Gründen verfolgten „Schutzhäftlinge“ Opfer des Terrors. Sie waren im Konzentrationslager vielfältigen Demütigungen ausgesetzt und wurden auch körperlich misshandelt. Aber auch die vielen Menschen, die bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus ihren Ämtern vertrieben wurden, zählen zu den Opfern.

Eines von vielen Beispielen ist Dr. Ernst Lehmann (1876-1941), Oberstudienrat an der Eutiner Friedrich-August-Realschule (dem heutigen Voss-Gymnasium). Lehmann war republikanisch gesinnt, er half 1920 den Kapp-Putsch in Eutin zu vereiteln, und er wurde 1933 von „frischgetauften“ nationalsozialistischen Kollegen denunziert und von der Eutiner SA mit Morddrohungen drangsaliert, bis er dann am 9. September aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus dem Schuldienst entlassen wurde. Er sollte sich von diesem Schlag nie mehr erholen. Die Familie zog nach Jena um, wo Ernst Lehmann 1936 in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wurde. Weitere Klinikaufenthalte folgten. Am 26. Februar 1941 verstarb Ernst Lehmann unter nicht völlig geklärten Umständen im Alter von 65 Jahren in der Anstalt Hildburghausen / Thüringen.

Aber es gab auch Eutiner, die ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit dem Leben bezahlen mussten oder im Zuge der „Erbgesundheitsgesetze“ schwere körperliche und seelische Schäden erlitten.

Karl (Carl) Fick (1881-1945) wuchs zusammen mit vier Brüdern in einem sozialdemokratisch geprägten Landarbeiterhaushalt in Stockelsdorf auf. Nach dem Abschluss der Volksschule absolvierte er eine Lehre als Zimmermann. Bereits früh trat er der SPD bei und engagierte sich in der Jugendgruppenarbeit der Partei. Sein älterer Bruder Heinrich wurde 1911 als sozialdemokratischer Abgeordneter für den Landesteil Lübeck in den Oldenburger Landtag gewählt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete sich Karl Fick freiwillig zum Kriegsdienst. Er kämpfte an der Westfront und wurde 1917 schwer verwundet. Zwei seiner Brüder fielen im Krieg. Sofort nach dem Krieg war Karl Fick wieder politisch aktiv, zunächst im Arbeiter- und Soldatenrat und dann ab 1919 als Mitglied im Stockelsdorfer Gemeinderat und im Landesausschuss in Eutin. Außerdem war er Kreisleiter des Deutschen Landarbeiterverbandes, der freien Gewerkschaft der Land- und Forstarbeiter. Ab 1922 war er Abgeordneter im Landtag von Oldenburg, dem er bis 1933 angehörte.

Im Landesausschuss Eutin und im Oldenburger Landtag geriet Karl Fick zunehmend in Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten und besonders mit Heinrich Böhmcker. Dies eskalierte, nachdem die NSDAP 1932 die Regierung im Freistaat Oldenburg bildete und Böhmcker Regierungspräsident im Landesteil Lübeck wurde. Am 11. März 1933 wurde Karl Fick, nachdem er sich noch im Januar für eine Mobilisierung der demokratischen Kräfte gegen die Machtübernahme durch Hitler eingesetzt hatte, auf persönliche Veranlassung von Böhmcker in „Schutzhaft“ genommen und bis zum 29. August im Konzentrationslager Eutin inhaftiert. Mit der Gleichschaltung der Deutschen Landarbeiterverbandes verlor Karl Fick auch seinen Arbeitsplatz und schlug sich ab 1935 als Handlungsreisender einer Seifenfirma durch.

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 wurde er am 22. August 1944 im Rahmen der Verhaftungsaktion „Gewitter“ erneut festgenommen und in das Konzentrationslager Neuengamme gebracht. Er kam am 3. Mai 1945 beim Untergang der zum KZ-Schiff umfunktionierten Cap Arcona in der Neustädter Bucht um. In einer Gedenkschrift von 2019 schreibt die Stockeldorfer SPD: „Karl Fick war ein bedeutender Stockelsdorfer Politiker […]. Sein Einsatz für Demokratie und Freiheit brachte ihn in der Nazidiktatur um Glück und Leben.“

Ein weiterer Vertreter der Arbeiterbewegung, der zu den Opfern der Nazidiktatur zählt, ist der aus Hamburg stammende Maurer und Gewerkschaftsführer Carl Ullrich (1889-1944), der von 1930 bis 1933 sozialdemokratischer Ratsherr in der Stadtvertretung von Eutin war. Er geriet wiederholt in Auseinandersetzungen mit der Eutiner SA, bei denen er schwer verletzt wurde. Nach 1933 wurde er zwar überwacht, behielt aber seinen Arbeitsplatz in Kiel. Ebenso wie Karl Fick wurde er 1944 im Rahmen der Aktion „Gewitter“ verhaftet und in das Konzentrationslager Neuengamme deportiert. Dort wurde er am 31. Oktober 1944 vermutlich ermordet. Das Grab von Carl Ullrich findet sich auf dem Evangelischen Friedhof in Eutin. Vor seinem Wohnhaus in der Klaus-Groth-Straße 9 erinnert ein Stolperstein an ihn.

Ein wenig bekanntes Kapitel der NS-Zeit in Eutin betrifft die Zwangssterilisierungen und Schwangerschaftsabbrüche, die im Zuge des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ auch hier durchgeführt wurden. Im Eutinischen lag die Durchführung des Gesetzes hauptsächlich in den Händen des Landesarztes und SA-Mitglieds Dr. Karl Rosenow. Allein 1935 sollen im Landesteil Lübeck über 100 Anträge auf Unfruchtbarmachung, 18 davon in Verbindung mit einem Schwangerschaftsabbruch gestellt worden sein. Betroffen waren vor allem. Menschen mit geistigen Behinderungen, psychischen Erkrankungen, Epilepsie sowie erblicher Taub- oder Blindheit. In Eutin wurden die Eingriffe von zwei Chirurgen der Stadt im damaligen Landeskrankenhaus durchgeführt. Die entsprechenden Akten sind bis auf ganz vereinzelte Ausnahmen nicht mehr auffindbar. Insgesamt fielen sicherlich mehrere hundert Menschen im Landesteil Lübeck der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik zum Opfer.

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