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Chronik 1925-1945

Die Stadt Eutin war von 1918 bis 1937 Regierungssitz des Landesteils Lübeck, der zum Freistaat Oldenburg gehörte. Diese Exklave entsprach etwa dem südlichen Teil des heutigen Kreises Ostholstein.

1925

Am 9. Mai findet die Gründungsversammlung der Ortsgruppe Eutin der NSDAP statt. Bei den wenigen Mitgliedern handelt es sich um jüngere Handwerker und Angestellte.

1926

Bei einer Massenveranstaltung der NSDAP im Schlosshotel hält Adolf Hitler einen zweieinhalbstündigen Vortrag vor mehr als 1.000 Zuhörern nicht nur aus dem Landesteil Lübeck, sondern aus ganz Schleswig-Holstein und Hamburg.

1930

Mit Hilfe wirkungsvoller Propagandamethoden gelingt es der Eutiner Ortsgruppe zunehmend, Mitglieder zu gewinnen. Auch das brutale Vorgehen der paramilitärischen „Sturmabteilung“ (SA) gegen politische Gegner, insbesondere dem überwiegend sozialdemokratischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold schadet der Partei nicht. Bei der Reichstagswahl im Mai 1930 gewinnt die NSDAP in Eutin fast 40 Prozent der Stimmen, das sind mehr als doppelt so viele wie im Reichsdurchschnitt.

1931

Im Vorfeld der Landtagswahl tritt Adolf Hitler im Mai ein zweites Mal in Eutin als Redner auf. Im November wird der SS-Mann Karl Radke bei einer Auseinandersetzung mit Angehörigen des Reichsbanners durch einen Messerstich getötet. Für die NSDAP gerät die Tat zu einem Propagandaerfolg. Eine Hetzjagd auf politische Gegner, vor allem auf Mitglieder der SPD, des Reichsbanners und der KPD setzt ein. Die Mitgliederzahlen der NSDAP-Ortsgruppe steigen.

1932

Bei den Landtagswahlen vom Mai gewinnt die NSDAP die Mehrheit der Sitze im Freistaat Oldenburg. Im Landesteil Lübeck wird der Eutiner Rechtsanwalt und SA-Führer Heinrich Böhmcker zum Regierungspräsidenten mit Sitz in Eutin ernannt. Anlässlich seines Amtsantritts kündigt er die rücksichtslose Bekämpfung aller Gegner der NSDAP an. Angehörige der SA werden als bewaffnete Hilfspolizisten eingesetzt. Im August wird der Ladenraum des der SPD nahestehenden Konsumvereins am Marktplatz durch einen Sprengstoffanschlag von SA-Mitgliedern völlig zerstört. Im selben Jahr werden der Bürgermeister sowie weitere Beamte ihres Amtes enthoben und durch NS-Anhänger ersetzt.

1933

Am 30. Januar ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Nur einen Monat später wird die Verfolgung politischer Gegner durch die „Reichstagsbrandverordnung“ legalisiert; sie können jetzt ohne richterliche Anordnung auf unbestimmte Zeit in „Schutzhaft“ genommen werden. Auch in Eutin setzt eine Verhaftungswelle ein. Im März wird im Erdgeschoss des Amtsgerichtsgefängnisses eines der ersten Konzentrationslager im Deutschen Reich eingerichtet. Ende Juni werden in Eutin, wie auch in vielen anderen Städten, Bücher „undeutscher“ Schriftsteller im Rahmen einer aufwendig inszenierten Feier verbrannt.

1935

Der kleine jüdische Friedhof in Eutin wird geschändet. Vor dem Haus der jüdischen Familie Nathan, wo nur noch die beiden alten Schwägerinnen Jenny und Alice Nathan leben, findet eine antisemitische Demonstration statt. In der Lokalzeitung erscheint ein Hetzartikel dazu.

1936

Der „Eutiner Dichterkreis“, eine Gruppierung völkisch-nationalistisch eingestellter Schriftsteller, wird unter der Schirmherrschaft von Heinrich Böhmcker gegründet.

1937

Der bislang zum Freistaat Oldenburg gehörige Landesteil Lübeck wird der preußischen Provinz Schleswig-Holstein eingegliedert. In Eutin wird der Festakt im Schlosshotel gefeiert. Der bisherige Regierungspräsident Heinrich Böhmcker wechselt als Bürgermeister nach Bremen.

1939

Wie alle Juden im Reich werden auch Jenny und Alice Nathan gezwungen, ein hohes „Sühneopfer“ als Buße für das Pariser Attentat auf den Botschaftssekretär vom Rath zu zahlen. Alice Nathan gelingt es im April unter Zurücklassung ihres gesamten Hab und Guts nach Paris zu entkommen. Ihre Schwägerin Jenny bleibt allein in Eutin zurück, wo sie vielfältigen Schikanen ausgesetzt ist.

1940

Im Dezember wird die 85-jährige Jenny Nathan ausgehungert und bewusstlos in ihrem unbeheizten Haus aufgefunden. Wenige Tage später verstirbt sie im Eutiner Krankenhaus.

1943

Im August werden ausgebombte Bewohner eines Hamburger Pflegeheims im Eutiner Schloss untergebracht. In den folgenden Jahren kommen noch zahlreiche Flüchtlinge aus dem Osten dazu. Es entstehen Notunterkünfte und Flüchtlingslager.

1945

Ende April wird Eutin für ein paar Tage zum provisorischen Sitz der Reichsregierung, als das aus Berlin geflüchtete Rumpfkabinett Hitlers hier im Gebäude der heutigen Kreisverwaltung tagt. Am 2. Mai gerät ein Deportationszug mit jüdischen Frauen aus einem KZ bei Bremen kurz vor Eutin unter Beschuss von britischen Tieffliegern. Es gibt viele Tote und Verletzte. Am 4. Mai wird die Stadt eher zufällig von drei britischen Kriegsberichterstattern „erobert“. Die offizielle Übergabe der Stadt an die britische Armee erfolgt dann am nächsten Tag.