15 Jüdischer Friedhof
(Dietrich Mau)
Der etwas außerhalb der Innenstadt am Kleinen Eutiner See gelegene Jüdische Friedhof wurde Mitte des 19. Jahrhunderts eingerichtet. Hier finden sich u. a. Gräber der jüdischen Familien Würzburg und Nathan. Im Mai 1935 wurden zahlreiche Grabsteine umgeworfen und zertrümmert, weitere Schändungen folgten sogar bis nach Kriegsende. Auch fünf jüdische Zwangsarbeiterinnen aus einem Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme sind auf diesem Friedhof beerdigt, die nach der irrtümlichen Bombardierung eines Häftlingstransports durch die britische Luftwaffe im Eutiner Lazarett starben.
Wo immer sich die Juden in der Diaspora niederließen oder genauer, wo sie sich niederlassen durften, entstand die Frage: wohin mit den Toten? Für Eutin, wo seit 1722 nur einzelne Juden wohnen und arbeiten durften, lautete die Antwort: Moisling. Die Eutiner Juden gehörten zur jüdischen Gemeinde Moisling, religiöser Mittelpunkt war die dortige Synagoge, die Toten wurden auf dem Moislinger Friedhof beerdigt. Das stellte die Eutiner Juden vor nicht unerhebliche logistische Herausforderungen.
Einen ersten Antrag auf einen Begräbnisplatz in Eutin stellte 1831 der Händler Esias David Levin und begründete ihn mit dem Hinweis auf die damals drohende Cholera-Gefahr. Der Antrag enthielt den Magistratsvermerk „mag vorläufig ruhen“. Erst 1850, zwei Jahre nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden, stellte der Eutiner Arzt und spätere Landtagsabgeordnete Dr. Nathan Nachmann Nathan erneut einen Antrag auf einen Begräbnisplatz. Dieser wurde 1851 durch August I. zur Heuer genehmigt. 1864 löste Dr. Nathan die Heuer aus und erwarb das über 1.000 qm große Grundstück als Eigentum. Die erste Beerdigung fand 1867 statt, Dr. Nathan musste seinen dreijährigen Sohn Ernst Joel, der an „Zahnfieber“ starb, hier beerdigen. Im Familiengrab der Nathans fanden außerdem ihre letzte Ruhe: Mathilde Nathan, geborene Falck, 1829 in Stralsund geboren, 1886 in Eutin gestorben. Mathilde Nathan war die Ehefrau von Dr. Nathan, der 1894 starb und neben seiner Ehefrau bestattet wurde. 1929 wurde der 1858 in Eutin geborene Sohn, Carl Nachmann Nathan beerdigt.
1905 kam es zu einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden jüdischen Familien Nathan und Würzburg. Der Bürstenfabrikant Sally Würzburg ließ auf dem Begräbnisplatz seine 1905 gestorbene Tochter Frieda beerdigen. Die Nathans konnten sich mit ihrer Auffassung, dass der Begräbnisplatz ausschließlich ein Familienbegräbnisplatz der Familie Nathan sei, nicht durchsetzen. 1907 ließ Sally Würzburg seine nur wenige Monate alt gewordene Enkeltochter Elfriede Baumgarten in einem Kindergrab beerdigen. Im Familiengrab der Würzburgs fanden ihre letzte Ruhe: Sarah Würzburg, geb. Oljenick, geboren 1852 in Lübeck, gestorben in Eutin 1916; Sally Würzburg, geboren 1852 in Lübeck, gestorben 1923 in Eutin. Neben den Grabsteinen der Eheleute Würzburg liegt ein Stein, der ursprünglich eine Erinnerungsplatte an den 1916 im ersten Weltkrieg gefallenen Sohn Leopold enthielt.
Im Mai 1935 wurden auf dem jüdischen Friedhof zahlreiche Grabsteine der Familien Würzburg und Nathan umgeworfen und zertrümmert. Willy Würzburg, der aus Hamburg herbeigeeilte Sohn des auf dem Friedhof beerdigten Bürstenfabrikanten Sally Würzburg, erstattete bei der Eutiner Polizei Anzeige. Während die Täter, die zeitgleich den Oldenburger jüdischen Friedhof schändeten, ermittelt werden konnten, blieben die Täter in Eutin unerkannt. Die Kosten der Wiederaufstellung trugen die Würzburgs selbst; für die Nathans übernahm die Stadt Eutin die Aufwendungen. Die Rekonstruktion der Grabsteine war jedoch nicht mehr vollständig möglich, denn durch die Schändungen gingen einige Grabtafeln unwiederbringlich verloren, zumal es nicht bei dieser Schändung blieb, sondern in der Zeit des Nationalsozialismus weitere Zerstörungen folgten. Selbst nach dem Wiederaufbau auf Veranlassung der Briten nach Ende des Krieges wurde der Friedhof erneut verwüstet.
Für Willy Würzburg war der Anblick des geschändeten Friedhofs Anlass, mit seiner Familie 1936 von Hamburg nach Amsterdam zu flüchten. Als die Nazis 1940 auch die Niederlande besetzten, waren die Würzburgs gezwungen in den Untergrund zu gehen. Die damals 18jährige Tochter Susanne Würzburg geriet später in die Fänge der Gestapo, wurde über Westerbork nach Auschwitz deportiert und dort im März 1944 ermordet.
Auch Alice Nathan, die Ehefrau des auf dem Friedhof liegenden Carl Nachmann Nathan floh 1939 von Eutin nach Paris (und später nach England). Ihre Schwägerin Jenny Nathan blieb allein in Eutin zurück. Sie starb im Dezember 1940 im Krankenhaus Eutin und wurde auf dem jüdischen Friedhof bestattet. Ihre Grabplatte liegt zwischen den Grabsteinen ihrer Eltern.
Im Mai 1945 wurden auf dem Friedhof fünf jüdische Zwangsarbeiterinnen aus dem Lager Lübberstedt-Bilohe, einem Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme, beerdigt. Diese Frauen überlebten zunächst einen britischen Tieffliegerangriff auf einen Häftlingstransport auf der Eisenbahnstrecke Lübeck – Eutin und starben später an den Folgen ihrer schweren Verletzungen im Lazarett bzw. im Kreiskrankenhaus Eutin („Kriegsende in Eutin“). Clara Fried (30 Jahre), Margot Fried (30 Jahre), Elli Gardos (20 Jahre), Rebekka Gerpel (24 Jahre) und Emöne Daskel (37 Jahre) erhielten unterhalb des Familienfriedhofs der Würzburgs ein namentliches Grab, 38 Tote des Tieffliegerangriffs wurden zunächst in einem Massengrab neben dem Bahngleis vergraben, später exhumiert und auf dem Moislinger Friedhof bestattet.
Die letzte Beerdigung auf dem Friedhof fand im April 1954 für Hynek Lewitt statt. Lewitt, 1895 in Leipzig geboren, überlebte die Schoa und kam 1946 als Displaced Person nach Eutin. Er war Sprecher der damals in Eutin lebenden Juden und außerdem Nebenkläger in einem 1950 geführten Prozess gegen den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Hedler, der wegen Verunglimpfung deutscher Widerstandskämpfer und antisemitischer Äußerungen vor Gericht stand.
In der Nachkriegszeit gab es eine weitere Schändung, die Ende September 1976 Gegenstand der Lokalberichterstattung war. Die erneuten Instandsetzungskosten übernahm die Stadt Eutin. Der Friedhof ist bis heute Eigentum der Nachfahren der Familie Nathan und wird als eingetragenes Denkmal von der Stadt Eutin gepflegt.
