1 Marktplatz

Von hier aus lässt sich die Geschichte Eutins im  Nationalsozialismus von Anfang bis Ende erzählen. In dem ehemaligen „Schlosshotel“ fanden die großen Feste und politischen Versammlungen statt. Hitler hielt hier bereits 1926 eine Rede vor mehr als 1.000 Zuhörern. Das „Hotel Stadt Kiel“ war das Stammlokal von SPD, Reichsbanner und KPD, und schräg gegenüber befand sich das „Sturmlokal“ der SA. Der Marktplatz war Schauplatz brutaler Auseinandersetzungen zwischen uniformierter SA und Angehörigen des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Das Rathaus war ein zentraler Ort der Gleichschaltung der Verwaltung. Im Nebengebäude befand sich ab 1933 die Geschäftsstelle der NSDAP-Ortsgruppe. Auch die Befreiung Eutins am 4. Mai 1945 spielte sich hier vor dem Rathaus ab

Blickt man vom Rathaus auf den Eutiner Marktplatz, so bietet sich fast das gleiche Bild wie vor 100 Jahren. Mit Ausnahme des letzten Hauses auf der rechten Seite ist das Ensemble der Gebäude so gut wie unverändert, und auch der Platz bietet einen ähnlichen Anblick, wenn man davon absieht, dass damals neben Fußgängern auch Autos und sicherlich mehr noch Pferdefuhrwerke zu finden waren. Auf der linken Seite befand sich das vornehmste Haus am Platz, das „Schlosshotel“, wo viele große Feste und politischen Versammlungen stattfanden und wo es auch zu wüsten Saalschlachten zwischen SA und Angehörigen des Reichsbanners kam. Direkt gegenüber, an der Querseite des Platzes, befand sich das Gasthaus „Stadt Kiel“ (heute „Brauhaus“), das als Stammlokal der SPD und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold diente. Die Angehörigen der NSDAP, vor allem aber die SA und SS verkehrten dagegen schräg gegenüber in den „Hansa-Stuben“ (heute „Markt 17“). So ist es nicht verwunderlich, dass der Marktplatz immer wieder zum Ort gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der SA und dem Reichsbanner wurde. Allein zwischen 1931 und 1933 fanden hier fast 130 Versammlungen und Aufmärsche statt, davon allein 51 von der NSDAP und den ihr angeschlossenen Organisationen, vor allem SA, SS und HJ, von denen die meisten auf dem Marktplatz starteten und endeten. Tatsächlich lässt sich hier die Geschichte des Nationalsozialismus in Eutin von den Anfängen in den 1920er Jahren bis hin zur Befreiung der Stadt am 4. Mai 1945 aufzeigen. Viele der wesentlichen Ereignisse haben auf oder um den Marktplatz herum stattgefunden. Am Abend des 9. Novembers 1931 kam es nach Beendigung eines Umzugs von etwa 300 Mitgliedern der SPD und des Reichsbanners anlässlich des Jahrestages der Revolution von 1918 zu einer heftigen Schlägerei zwischen Angehörigen des Reichsbanners und NSDAP-Anhängern, in deren Verlauf der SS-Mann Karl Radke durch einen Messerstich getötet wurde. Obwohl die genauen Umstände nie geklärt werden konnten, spricht vieles dafür, dass ein Angehöriger des Reichsbanners der Täter war. In der Folge wurde Karl Radke ganz im Sinne der NS-Propaganda als „Märtyrer“ der Bewegung gefeiert. An den Hansa-Stuben, dem „Sturmlokal“ der SA, wurde eine Gedenktafel mit Hakenkreuzen und SS-Runen angebracht, auf der „Reichsbanner-Mörder“ der Tat bezichtigt werden. Die Tafel war hier für alle Bewohner der Stadt täglich sichtbar. In der Folge verschärfte die SA den Terror gegen Mitglieder der SPD und des Reichsbanners, und die Mitgliederzahlen der NSDAP-Ortsgruppe stiegen. Die NSDAP regte 1932 im Stadtrat an, den Marktplatz zu Ehren des Verstorbenen in „Karl-Radke-Markt“ umzubenennen. Dieser Antrag wurde aber nach Protesten von sozialdemokratischer und auch bürgerlicher Seite vom Stadtmagistrat zurückgezogen. In der Nacht vom 10. auf den 11. August 1932 wurde der Ladenraum des der SPD nahestehenden genossenschaftlichen Konsumvereins (Markt 14) durch einen Sprengstoffanschlag völlig zerstört. Die anschließenden Untersuchungen der Lübecker Staatsanwaltschaft wiesen auf eine Täterschaft aus den Reihen der Eutiner SA hin. Als es Anfang November zwei preußischen Kriminalbeamten aus Altona gelang, einen der Tatverdächtigen auf dem Marktplatz zu stellen, verlangte der am Vortag anstelle des gewählten Bürgermeisters von Böhmcker kommissarisch eingesetzte NS-Ratsherr Kahl von dem städtischen Polizeikommissar Paul Marks, den Verdächtigen laufen zu lassen und stattdessen die beiden auswärtigen Kriminalbeamten zu verhaften. Der weigerte sich, diesem Befehl nachzukommen, und wurde daraufhin zwei Tage später seines Dienstes enthoben. Am 24. Juni 1933 wurde in Eutin ein „Fest der Jugend“ veranstaltet. Gegen Abend traten die Hitlerjugend, der BDM, die SA und SS sowie Krieger- und Sportvereine auf dem Marktplatz an und marschierten gemeinsam mit Musik an der Spitze zum damaligen Volksfestplatz (heute Charlottenviertel) wo ähnlich wie in vielen deutschen Städten „undeutsche Bücher“ und Werke „jüdischer Schmutzliteratur“ ins Feuer geworfen wurden. Die Flammenrede bei dieser Bücherverbrennung hielt der Direktor des Eutiner Oberlyzeums (heute Weber-Gymnasium) Wilhelm Harders. Auch die eher zufällige „Eroberung“ Eutins durch die Alliierten spielte sich auf dem Marktplatz ab. Am 4. Mai 1945 kamen drei britische Kriegsberichterstatter auf dem Weg nach Kiel durch Eutin und hielten gegen 15 Uhr mit zwei US-Militärjeeps vor dem Rathaus. Zu ihrer Überraschung wurde ihnen die Stadt prompt „von Eutiner NS-Honoratioren vor dem Rathaus“ übergeben. Erst am folgenden Tag erfolgte dann die offizielle Übergabe der Stadt und damit die endgültige Befreiung vom Nationalsozialismus in Eutin.

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